Die Wirkung von Live-Musiktherapie mit Körperkontakt bei Frühgeborenen

Eine in der Neonatologie der Universitätsmedizin Essen durchgeführte Studie zeigt, dass eine live gespielte Musiktherapie bei Frühgeborenen in Kombination mit engem Körperkontakt zu den Eltern eine wirksame Reduzierung des elterlichen Stresses und des Cortisolspiegels bewirkt.

Als Frühgeburt gilt eine Geburt vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche. Weltweit wird mehr als eins von zehn Neugeborenen zu früh geboren (Ohuma et al., 2023). Da eine Frühgeburt mit einer anfälligen Phase der Gehirnentwicklung zusammenfällt, besteht bei Frühgeborenen ein erhöhtes Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen im späteren Leben. Das Risiko steigt mit abnehmendem Gestationsalter (Marlow et al., 2014; Wallois et al., 2020). Stress, der beispielsweise durch schmerzhafte Eingriffe, Lärm und Trennung der Eltern verursacht wird, gilt als schädlicher Einfluss auf die Gehirnentwicklung (Cook et al., 2023; Cong et al., 2017; Zhang et al., 2022). Eine stressreduzierende, nicht-invasive Intervention ist die Musiktherapie, die in den letzten Jahren an Aufmerksamkeit gewonnen hat (Yue et al., 2021). Frühere Studien zeigten, dass live und individuell durchgeführte Musiktherapie positive Auswirkungen auf die Vitalparameter, das Fütterungsverhalten und die Gewichtszunahme von Frühgeborenen hat (Yue et al., 2021; Erdei et al., 2024; Kobus et al., 2021; Kraft et al., 2021).

Nicht nur das Frühgeborene ist während der Behandlung auf der Intensivstation mit stressigen Ereignissen konfrontiert, sondern auch seine Eltern erleben ein kritisches Lebensereignis (Weigl et al., 2020; Lundqvist et al., 2019). Eine Frühgeburt unterbricht die Bindung, was sich negativ auf die Entwicklung der Mutter-Kind-Beziehung auswirken und erhebliche Einflüsse auf die Qualität der frühen Kind-Eltern-Interaktion haben kann (Fernández Medina et al., 2018). Postnatale Bindung ist wichtig für die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung des Säuglings und hat positive Auswirkungen auf die spätere psychische Gesundheit und Belastbarkeit (Winston und Chicot, 2016). Da Stress die Bindung negativ beeinflusst (Khoramirad et al., 2021), ist die Förderung des elterlichen Wohlbefindens während des Aufenthalts auf der neonatologischen Intensivstation ein wichtiges Thema in der Entwicklungsbetreuung von Frühgeborenen.

Sowohl Musiktherapie als auch Körperkontakt sind stressreduzierende Interventionen für Eltern und Frühgeborene auf der neonatologischen Intensivstation. Mittlerweile gehört das Kuscheln der Eltern mit ihren Kindern in den meisten Kliniken zur Standardversorgung. Die Auswirkungen einer live durchgeführten Musiktherapie bei Körperkontakt zu den Eltern auf den von den Eltern wahrgenommenen Stress und den Cortisolspiegel wurde jedoch kaum untersucht.

Ziel der aktuellen Studie war es, die Wirkung von Musiktherapie bei Körperkontakt zu den Eltern auf das elterliche Stressniveau zu untersuchen, indem das Cortisol im Speichel sowie das Stressniveau gemessen wurde, das mit einem Fragebogen zum wahrgenommenen Stress (PSQ-20) ermittelt wurde.

100 Frühgeborene (Musiktherapie: n = 50, Standardversorgung: n = 50), die zwischen Juli 2021 und Januar 2023 in der Universitätsmedizin geboren wurden, konnten rekrutiert werden. Es wurden 42 Mütter und 8 Väter in die Interventionsgruppe (Musiktherapie mit Körperkontakt), sowie n = 43 Mütter und n = 6 Väter in die Kontrollgruppe (Standardversorgung) eingeschlossen. Mütter nahmen an 406 Sitzungen und Väter an 80 Sitzungen teil.

Für die Interventionsgruppe war das Cortisol im Speichel 4 Wochen nach der Geburt reduziert [Mütter 5,5 nmol/l (Konfidenzintervall (KI) 3,6–7,5); Väter 8,3 (CI 7,2–9,4)] im Vergleich zur Kontrollgruppe [Mütter 10,3 nmol/l (KI 5,4–15,3); Väter 14,8 (KI 8,9–20,7)]. Die insgesamt wahrgenommenen Stresswerte sanken in der Interventionsgruppe (Mütter –17,6; Väter –12,6) und stiegen in der Kontrollgruppe (Mütter +6,1; Väter +21,4) über 4 Wochen.

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass eine live durchgeführte Musiktherapie bei Frühgeborenen mit Körperkontakt zu den Eltern in den ersten 4 Wochen nach der Geburt zu verbesserten Werten des Cortisolspiegels und Stresslevels der Eltern führt, was möglicherweise positive Auswirkungen auf die kognitive und sozioemotionale Entwicklung des Säuglings hat. Basierend auf unseren aktuellen und früheren Studienergebnissen könnte das optimale Setting für die Durchführung von Live-Musiktherapie bei Frühgeborenen die Kombination mit Körperkontakt zu den Eltern sein.

 

Literatur:

Cong, X., Wu, J., Vittner, D., Xu, W., Hussain, N., Galvin, S., et al. (2017). The impact of cumulative pain/stress on neurobehavioral development of preterm infants in the NICU. Early Hum. Dev. 108, 9–16. doi: 10.1016/j.earlhumdev.2017.03.003

Cook, K. M., De Asis-Cruz, J., Kim, J. H., Basu, S. K., Andescavage, N., Murnick, J., et al. (2023). Experience of early-life pain in premature infants is associated with atypical cerebellar development and later neurodevelopmental deficits. BMC Med. 21:435. doi: 10.1186/s12916-023-03141-w

Erdei, C., Sunwoo, J., Corriveau, G. C., Forde, M., El-Dib, M., and Inder, T. (2024). Effect of music- based interventions on physiologic stability of hospitalized preterm infants. A pilot study. J. Perinatol. 44, 665–670. doi: 10.1038/s41372-024-01907-5

Fernández Medina, I. M., Granero-Molina, J., Fernández-Sola, C., Hernández-Padilla, J. M., Camacho Ávila, M., and López Rodríguez, M. D. M. (2018). Bonding in neonatal intensive care units: experiences of extremely preterm infants‘ mothers. Women Birth 31, 325–330. doi: 10.1016/j.wombi.2017.11.008

Khoramirad, A., Abedini, Z., and Khalajinia, Z. (2021). Relationship between mindfulness and maternal stress and mother – infant bonding in neonatal intensive care unit. J. Educ. Health Promot. 10:337. doi: 10.4103/jehp.jehp_1620_20

Kobus, S., Diezel, M., Dewan, M. V., Huening, B., Dathe, A. K., Felderhoff-Mueser, U., et al. (2021). Music therapy is effective during sleep in preterm infants. Int. J. Environ. Res. Public Health 18:8245. doi: 10.3390/ijerph18168245

Kraft, K. E., Jaschke, A. C., Ravensbergen, A. G., Feenstra-Weelink, A., van Goor, M. E. L., de Kroon, M. L. A., et al. (2021). Maternal anxiety, infant stress, and the role of live-performed music therapy during NICU stay in the Netherlands. Int. J. Environ. Res. Public Health 18:7077. doi: 10.3390/ijerph18137077

Lundqvist, P., Weis, J., and Sivberg, B. (2019). Parents‘ journey caring for a preterm infant until discharge from hospital-based neonatal home care-a challenging process to cope with. J. Clin. Nurs. 28, 2966–2978. doi: 10.1111/jocn.14891

Marlow, N., Bennett, C., Draper, E. S., Hennessy, E. M., Morgan, A. S., and Costeloe, K. L. (2014). Perinatal outcomes for extremely preterm babies in relation to place of birth in England: the EPICure 2 study. Arch. Dis. Child. Fetal Neonatal Ed. 99, F181–F188. doi: 10.1136/archdischild-2013-305555

Ohuma, E. O., Moller, A. B., Bradley, E., Chakwera, S., Hussain-Alkhateeb, L., Lewin, A., et al. (2023). National, regional, and global estimates of preterm birth in 2020, with trends from 2010: a systematic analysis. Lancet 402, 1261–1271. doi: 10.1016/S0140-6736(23)00878-4

Wallois, F., Routier, L., and Bourel-Ponchel, E. (2020). Impact of prematurity on neurodevelopment. Handb. Clin. Neurol. 173, 341–375. doi: 10.1016/B978-0-444-64150-2.00026-5

Weigl, T., Schneider, N., Stein, A., Felderhoff-Müser, U., Schedlowski, M., and Engler, H. (2020). Postpartal affective and endocrine differences between parents of preterm and full-term infants. Front. Psychiatry. 11:251. doi: 10.3389/fpsyt.2020.00251

Winston, R., and Chicot, R. (2016). The importance of early bonding on the long-term mental health and resilience of children. London J. Prim. Care 8, 12–14. doi: 10.1080/17571472.2015.1133012

Yue, W., Han, X., Luo, J., Zeng, Z., and Yang, M. (2021). Effect of music therapy on preterm infants in neonatal intensive care unit: systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. J. Adv. Nurs. 77, 635–652. doi: 10.1111/jan.14630

Zhang, X., Spear, E., Hsu, H. L., Gennings, C., and Stroustrup, A. (2022). NICU-based stress response and preterm infant neurobehavior: exploring the critical windows for exposure. Pediatr. Res. 92, 1470–1478. doi: 10.1038/s41390-022-01983-3

Link zum Paper: https://doi.org/10.3390/ijerph19159524

 

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